Segeln jenseits aller Erwartungen

Anstatt uns auf den Weg Richtung Süden zu machen, nutzen wir die Zeit bis Davids nächstem Arbeitseinsatz in Hongkong und segeln Richtung Norden.

Wir hatten nun also entschieden, dieses Jahr nicht nach Panama zu segeln – erneut. Dieses Mal jedoch nicht wegen irgendwelchen technischen Defekten am Schiff wie letzte Saison. Das Schiff ist in einem Top-Zustand und auf unserer To-Do-Liste befinden sich (aktuell) praktisch nur noch nice to have Dinge: Den Lack an der Fussreling abkratzen und sie ölen, zusätzliche Cockpit Kissen und weitere Covers nähen, eine Fernbedienung für die Ankerwinsch einbauen und eventuell noch den Vorwärtsgang verkabeln, die Membran beim Wassermacher ersetzen. Solche Dinge.

Griff ins Klo?

Wir haben lange darauf hingearbeitet, an diesen Punkt zu kommen und Milagros so zu gestalten, wie es uns gefällt. An dieser Stelle muss ich eine Bemerkung abgeben zu verschiedenen Stimmen, die uns erreicht haben mit dem Tenor, dass Milagros ein Griff ins Klo war. Dem ist ganz und gar nicht so. Milagros ist ein solides, 45 Jahre altes Schiff mit normalen Unterhaltszyklen und Macken wie jedes andere Schiff.

Typisch Schweizer

Unser Arbeit-Segel-Verhältnis wäre sicherlich besser, wenn wir erstens nicht alle Arbeiten immer zum ersten Mal machen und deshalb länger dafür brauchen würden, zweitens nicht in Mexiko wären, wo alles länger dauert und gutes Material schwer zu finden ist, und drittens, wenn wir nicht so perfektionistisch wären. Der dritte Punkt führt dazu, dass wir möglichst keine Abkürzungen nehmen, die anfallenden Reparaturen, Unterhaltsarbeiten und Verbesserungen versuchen richtig zu machen, nicht einfach beide Augen zudrücken oder wegsehen oder warten, bis es zu spät ist. Vorbeugender Unterhalt sozusagen. Aber natürlich hatten wir zwischendurch auch ein bisschen Pech. Bei einem anderen oder neueren Schiff wäre das aber nicht anders gewesen.

Es sind die Ansprüche

Man sagt «Segeln ist Dinge reparieren mit einer schönen Aussicht» oder «Segeln ist die teuerste Art, gratis die Welt zu erkunden». Meer und Sonne sind eine widrige Umgebung für alle Materialien und der Verschleiss ist hoch. Alle Segler sind sinnbildlich im gleichen Sturm und für alle gilt «Auf einem Schiff ist alles kaputt, du weisst es nur noch nicht». Was sich unterscheidet sind hauptsächlich die Ansprüche an sich und das Schiff und den ‘gut genug’ Schwellenwert, also wann und ob etwas gut genug ist. Manche stört es nicht, wenn hier und da irgendwo Wasser ins Schiff eindringt, wo es nicht sollte und andere wollen Lecks sofort eliminieren. Einigen ist es egal, wenn das Schiff runtergeranzt aussieht, anderen nicht.

Milagros ist super!

Deshalb: Milagros ist ein super Schiff und bereit, die Welt zu erkunden! Das Problem war, dass wir eben nicht bereit waren. Nach ein paar Tagen einfach mal nichts machen, waren wir immer noch nicht schlauer. Wir fühlten uns gut mit der Entscheidung, den Panama-Plan erstmal sausen zu lassen. Aber nach Hause wollten wir jetzt direkt auch noch nicht. Etwa eine Woche nach unserer misslungenen Überfahrt nach Topolobampo beschlossen wir, die Gegend nördlich von Guaymas zu erkunden.

Gen Norden

Sechs Stunden entfernt befand sich die Bahia San Pedro. Die riesige Bucht hatte Platz, bot viele Erkundungsmöglichkeiten und sie war auch passend für die aktuell vorherrschenden Winde aus Norden. Sie war weit weg von allem, ohne Häuser oder Shops oder Bars. Nachts konnten wir die Koyoten am Strand hören und sahen am Tag auch mal zwei Kühe.

Lack muss weg

Wir verbrachten 10 entspannte Tage in der Bahia San Pedro mit erkunden, fischen, spazieren, nichts tun und wie immer ein paar kleinen Bootsprojekten. David widmete sich dem Lack an unserer Fussreling und entfernte die kläglichen Überreste, deren Schichten zwar noch aneinanderhielten, jedoch nicht mehr am Holz.

Pan Pan

Wir hatten auch den gebrochenen Pin am Ruder des Dinghys ersetzt und David nutze die schöne Brise in der Bucht zum Segeln. Als er schon auf dem Rückweg zu Milagros war, weil der Wind mittlerweile 18 Knoten erreicht hatte und damit zu stark war, gab aber das Ruder den Geist auf. Manövrierunfähig trieb er ab. Ich konnte ihn nicht retten, da er ja unser Dinghy segelte und das Kajak noch verstaut war. Über Funk fragte ich das Nachbarschiff um Hilfe, die ihn dann abschleppten und zu Milagros zurückbrachten. Upsi.

Fischgeschenk

Eines Morgens sahen wir, wie eine rosarote Panga in die Bucht reinkam. Wir stiegen ins Dinghy und ruderten zu den Fischern, um sie zu fragen, ob sie Fisch zu verkaufen hätten. Es stellte sich heraus, dass es zwei Gringos aus San Carlos waren, die gerade weiter draussen gefischt hatten und ein Segelboot in der Bucht kannten. Angesprochen auf die Farbe der Panga meinte der eine, dass es Diebstahlschutz sei. Einerseits sei es eine auffällige Farbe und andererseits würde kein Mexikaner je in einer rosaroten Panga rumfahren wollen. Mit ihnen tauschten wir zwei kalte Bierchen gegen drei leckere Fische. Einer dieser Fische wurde dank unserem neuen Grill zu einem der besten Fischgerichte verarbeitet, das wir je auf Milagros hatten.

Lagerfeuer

Die letzten Tage in der Bucht waren wir praktisch allein, nur der Franzose Chris ankerte noch neben uns. Er schlug vor, dass wir das angenehme Wetter dazu nutzen sollten, ein Feuer am Strand zu machen. Er sammelte fleissig Holz ein und wir brachten Teig für Schlangenbrot. So genossen wir ums Lagerfeuer sitzend den Sonnenuntergang.

Ein neues Sicherheitssystem

Dabei erzählte er uns von einem spannenden Sicherheitssystem, das er gerade am Entwickeln war. Es heisst ‘Barking Boat. Im Schiffsrumpf angebrachte Sensoren senden ein Doppler-Radarsignal mit sehr geringer Leistung aus und erkennen Bewegungen ausserhalb des Schiffes in einer Entfernung von bis zu 8 Metern. Das löst ein löst ein Bellgeräusch aus einem Lautsprecher aus und imitiert einen Wachhund. Cool, nicht?

Es gibt Probleme

Wir hatten nur zwei kleine «Probleme». Glücklicherweise hatte keins davon mit der Sicherheit an Bord zu tun Das eine war Essen. Wir hatten nicht genügend frische Lebensmittel dabei. Wir waren zwei Wochen zuvor losgegangen mit der Meinung, 5 Tage später in Mazatlán zu sein, wo wir wieder einkaufen konnten. Es war nicht so, dass wir hungern mussten. Es fehlten einfach ein paar Essentials wie Butter, Eier, Milch, Tortillas und frisches Gemüse. Aber in der Not wird man erfinderisch. So haben wir einfach unsere eigenen Tortillas hergestellt, einen Russenzopf mit Kokosöl statt Butter und ohne Ei gebacken, Pulvermilch im Kaffee verrührt und Dosengemüse gegessen. Ging auch ganz gut.

Selbstgemachte Tortillas

Wir müssen weg

Das andere Problem war Zeit. Davids nächster Trip nach Hongkong stand an und wir mussten zurück in die Zivilisation. Wir genossen die Zeit in der Bahia San Pedro sehr und wollten eigentlich noch nicht weg. Aber so war’s nun mal. Mit einem netten Nordwind segelten wir zwei Tage vor Davids Abreise zurück nach Guaymas. Wir ankerten aber erst noch ums Eck in der Bahia Catalina. Von dort aus nahmen wir uns ein Taxi in die Stadt, um das Nötigste einzukaufen. Zwei der Geschichten aus dem letzten Post ‘Geschichten aus dem Leben: Eine Woche in Guaymas' stammten von diesem Tag. Erst am Tag von Davids Abreise gingen wir zurück in die Kloake vor Guaymas, wo ich wieder zwei Wochen allein auf dem Schiff verbringen würde.

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