Unser einzigartiges Leben auf dem Segelschiff

Während ich diese Zeilen schreibe, ist unser Aufenthalt in der Schweiz schon fast wieder zu Ende. Wir haben viel gearbeitet, viel Energie getankt, viel Heimat genossen. In wenigen Tagen sitzen wir schon wieder im Flieger in Richtung Mexiko. Unsere zweite Segelsaison auf Milagros beginnt. Wir wollen Richtung Süden, raus aus Mexiko. In Richtung El Salvador, Costa Rica, Panama. Vielleicht holen wir ja sogar Iñaki und Carmen auf Anila ein. Mit fast zwei Jahren Verspätung! Zeit auch für mich zurückzublicken auf 1.5 Jahre, die wie im Rausch vorbeigezogen sind.

Life on a sailboat is not all beautiful sunsets and beach fires

Ich weiss gar nicht so recht wo anfangen und aufhören. Es ist völlig crazy, wie viele Erinnerungen wir in den letzten eineinhalb Jahren haben machen dürfen. Wenn ich vor meinem geistigen Auge zurückblicke, bin ich fast ein wenig überfordert. Die vielen Fetzen von Erinnerungen und Bilder überladen mein Gehirn ein wenig. Das Gehirn überladen hat mir auch das Leben auf dem Segelschiff. Im Positiven wie auch im Negativen.

Ein bisschen Stolz

Ein Gefühl, das bei mir vorherrscht, ist Stolz. Ich bin stolz auf mich und auf Pati. Was wir im 2021 und 2022 durchgezogen haben, ist echt krass. Wir haben ohne jegliches Vorwissen einen riesigen Umbau eines 44 Jahre alten Segelschiffs gestemmt, haben Höhen und Tiefen erlebt und einfach weiter gemacht. Auch an Punkten, an denen andere aufgehört hätten. Wir haben Durchhaltewillen bewiesen, durchgebissen und sind belohnt worden. Denn alles was nach dem Umbau kam, liess oft alle Strapazen vergessen. Der Wind im Gesicht, das Wasser unter uns, die überwältigende Szenerie der Sea of Cortez um uns. Die Zeit, die wir in den Umbau von Milagros gesteckt haben, war jede Sekunde wert.

Grössere und kleinere Zwischenfälle

Etwas anderes, das ich hervorheben muss, ist, dass wir auch das halbe Jahr auf See ohne gröbere Zwischenfälle haben verbringen dürfen. Wir haben bei unserem Umbau das Augenmerk auf die richtigen Stellen gelenkt, und bisher ist uns noch keine gröbere Schwäche aufgefallen, die wir übersehen oder selber eingebaut haben. Wenn wir uns so umhören sind wir tatsächlich mit einer einigermassen problemlosen Saison gestartet. Abgesehen von unserem Motorenausfall im dümmsten Moment, bei Wind, Wetter und Wellen natürlich. Seit der Reparatur der Einspritzpumpe hatten wir aber nicht mehr das kleinste Problem mit unserem Burrito (so nennen wir unseren Motor). Hoffen wir mal, dass das noch lange so bleibt. Denn man weiss nie, ob um die nächste Ecke ein Zwischenfall lauert.

Das Leben auf dem Segelschiff ist ein hin und her

Das Segeln in der Sea of Cortez könnte ich etwa so beschreiben: Motor an, Anker hoch, Segel hoch, plötzlich zu wenig Wind, Segel runter, Motor an. Kaum den Motor angestellt bläst der Wind, Segel hoch. Als alles schön eingestellt und getrimmt ist, ändert sich plötzlich die Windrichtung. Wir müssen den Kurs anpassen, der Kurs passt aber nicht mehr zu unserer Route. Also müssen wir einen Kurs nehmen, der die Fahrt und 2 Stunden verlängern würde. Gleichzeitig nimmt der Wind zu, wir müssen die Segelfläche verkleinern. Just als das getan ist, stellt der Wind komplett ab. Wir nehmen also das Vorsegel rein, stellen den Motor an und tuckern so vor uns hin. Plötzlich ist wieder Wind da, wir segeln wieder. Es war oft ein hin und her, ein rauf und runter, ein vorwärts und rückwärts. Wo einem eingefleischten Segler das Herz aufgeht, geht mir das Ganze irgendwann auf den Geist.

Ich und das Segeln

Vielleicht ist das die fehlende Erfahrung unsererseits, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen, vielleicht ist es auch einfach die Sea of Cortez als Segelgebiet mit unsteten Winden, der unregelmässigen Topographie und was weiss ich noch. Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass ich das Segeln nicht nur genossen habe, sondern manchmal auch einfach nur genervt war. Aber auch hier: Wir haben keinerlei grobe Zwischenfälle erlebt und sind sehr konservativ und vorsichtig unterwegs gewesen. Das wird auch in Zukunft der Weg sein. Und wenn mal alles läuft, die Bedingungen optimal sind, die Segel richtig getrimmt sind, der Windpilot das Schiff voll im Griff hat und Milagros einfach nur stur vorwärts will, dann ist es einfach nur ein Genuss. Dann bin ich voll im Flow und will gar nicht, dass es aufhört. Aber ob aus mir noch ein eigefleischter Segler wird, das sei jetzt mal dahingestellt.

Baja Magic

Wofür ich enorm dankbar bin ist, dass wir Milagros hier in Mexiko gefunden haben und die ersten Schritte in der Baja California haben machen dürfen. Die Sea of Cortez ist von der ganzen Welt (inklusive der Seglerwelt) völlig übersehen. Und das ist gut so. Dieses kleine Paradies ist ein riesiger Spielplatz mit unzähligen Ankerbuchten, eine schöner als die andere. Es ist einfach nur magisch. Die Tierwelt unfassbar, die Szenerie ist atemberaubend. Wir haben so viele Leute kennengelernt, die grosse Segelpläne hatten und schlussendlich einfach hier stecken geblieben sind. Ich kann es ihnen nicht verübeln, denn dieser Ort hat alles, was das Seglerherz begehrt. Trotzdem bin ich bereit, weiterzuziehen. Nach anderthalb Jahren Wüste konnte ich es kaum erwarten zurück in die Schweiz zu kommen, mit ihrem satten Grün, ihren Wäldern, Seen und Bächen. Das hat mir gefehlt. Und ich freue mich darauf, nach Süden zu ziehen, wo die Vegetation dann doch ein wenig üppiger ist.

Besondere Momente

Ein paar ganz besondere Momente möchte ich noch hervorheben. Sie sind die ersten, die mir in den Sinn kommen, wenn ich zurückdenke. Orte, Leute, kurze Sekundenbruchteile, Begegnungen, die Natur, der Wind und das Wasser – die Liste der Momente ist endlos. Trotzdem will ich ein paar spezielle Erinnerungen herauspicken.

Das grosse Wiedersehen

Ein ganz wichtiger Moment war das grosse Wiedersehen mit unseren Freunden vom Boatyard in Puerto Peñasco. Während wir es (wenn auch mit grosser Verspätung) geschafft hatten, die komplette Sea of Cortez herunterzusegeln, kamen unsere Seglerfreunde langsam wieder von ihrer Saison am Festland von Mexiko zurück in die Sea of Cortez. Wir verabredeten uns an der Bahia Bonanza, einem endlosen Sandstrand. Cavu waren da, Alegria, Boomerang, Empyrean. Eine Zusammenkunft von vielen tollen Leuten an einem traumhaften Ort.

Harti Party im Paradies

Einen zweiten tollen Aufenthalt hatten wir auf der Isla San Francisco. Allerdings nicht in der berühmten, ankerförmigen Südwestbucht, sondern auf der Ostseite der Insel. Auch dort ein Stelldichein von Freunden auf anderen Schiffen, wieder mit Cavu, Alegria und Boomerang, dazu Perspective und Peep. Da wir dem Internet hinterhersegeln mussten, wurde kurzerhand Cavu Daves Geburtstagsfete vorverlegt und so wurde nach einem Boat Crawl (alle versammelten der Reihe nach auf den Schiffen der anderen) bis in die Nacht hinein gefeiert. All das in einer der tollsten Ankerbuchten, die wir besuchen durften.

Wo wir gar nicht mehr weg wollten

Ein weiteres Highlight war unser Aufenthalt in Refugio oder V-Cove. Wir hatten frisch Starlink an Bord und somit Internet à discretion und mussten nicht mehr von Internet-Hotspot zu Internet-Hotspot hüpfen. Das war und ist ein riesiger Game-Changer für uns, und somit blieben wir einfach mal so lange wie möglich am selben Ort. Die Ankerbucht war beinahe zwei Wochen am Stück unser Zuhause, während andere Schiffe kamen und gingen. Die einzigen permanenten Mitbewohner waren die Pelikane, die Möwen, die Fische und Delfine. Am morgen arbeiteten wir am Computer, am Nachmittag genossen wir einfach nur die Umgebung und unser Leben.

Endlich geschafft

Wie wir Marga auf ihrer Dogfish, auch einer Kelly Peterson 44, kennengelernt haben, ist ja sowieso für die Geschichtsbücher. Darüber könnten wir einen eigenen Blogpost schreiben. Aber dass wir es dann tatsächlich noch geschafft haben, nebeneinander in einer wunderschönen, höllisch heissen Bucht zusammen vor Anker zu liegen war trotzdem speziell. Unsere zwei KPs auf glasglatter Wasseroberfläche, ein Besuch von zwei Buckelwalen, eine Ausfahrt mit dem Mietauto um Mike, Katie und Rosco auf Alegria zu besuchen, morgendliche Kaffeelieferungen per Dinghy – unsere Zeit in der Bahia Coyote hatte alles, was das Leben auf dem Segelschiff so schön macht.

Die zweite Hälfte der Horrorfahrt

Wer schon länger mitliest, weiss ja noch, wie unsere Jungfernfahrt zur Horrorfahrt wurde. Ein Motorenausfall nahe der Küste bei bis zu 30 Knoten Wind und meterhohen Wellen war absolut nicht geil. Trotzdem wurde aus einem veritablen Scheissmoment dann trotzdem noch eine der Erinnerungen, die mir mit am wichtigsten ist. Denn als wir das Schiff und uns selber wieder im Griff hatten, zeigte sich, dass wir ein absolutes Monster von einem Schiff unser Eigen nennen dürfen. Wir fühlten uns auf Milagros in diesen widrigen Bedingungen jederzeit zu hundert Prozent sicher, und wir lernten unser Schiff zu segeln. Einfach nur weil wir keine andere Wahl hatten. Milagros zeigte uns, dass sie gemacht ist für genau solche Situationen. Dass sie gemacht ist für die hohe See und auch dann nicht bockig und unangenehm wird, wenn ihre Besitzer gestresst sind und Fehler machen.

Auf und ab und auf und ab

So wurde aus einem Moment von maximalem Stress ein Moment von maximalem Genuss und Freude. Hoch und Tief liegen so unglaublich nahe beieinander, wenn man auf einem Schiff lebt. Das zeigte sich auch nie mehr eindrücklicher, als auf dieser Überfahrt. Es hätte uns kein Buch, kein Blogpost, kein Artikel im Seglermagazin der Welt auf die Gefühlsachterbahn vorbereiten können, die das Seglerleben ist. Von einem Moment auf den anderen kann aus einem wunderschönen Sonnenuntergang eine absolute Waschmaschine werden, weil Wellen von irgendwoher um die Ecke kommen. Aus Ruhe wird Schlaflosigkeit, weil der Wind plötzlich auffrischt und am Schiff herumreisst. Manchmal fand ich es schön, manchmal war mir das Auf und Ab und Hin und Her auch schlichtweg zu viel.

So kann es weitergehen

Aber nach ein paar Monaten Pause und ein wenig Abstand kann ich am Ende aber trotzdem sagen – so kann es weitergehen. Die Vorfreude auf die Rückkehr nach Mexiko und zu Milagros steigt und steigt. Wir haben viel vor. Zuerst müssen wir noch ein wenig am Schiff herumschrauben, danach wollen wir uns in Richtung Süden aufmachen. Zum mexikanischen Festland, El Salvador, Costa Rica, Panama. Oder Sonst wo hin. Schlussendlich kommt ja dann eh immer alles anders als wir es erwartet haben. Aber das ist gerade das Tolle. Wir können jeden Tag bei null beginnen, denn wir haben keine Ahnung was passieren wird. So muss das sein.

Bald sind wir wieder zurück auf Milagros mit neuen Geschichten! Wenn du magst, kannst du uns ein Bier spendieren, in dem du unten auf den Button klickst (neu auch mit TWINT). Oder ein monatlicher Unterstützer auf Patreon werden! Vielen Dank!

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2 Comments

I’m amazed by your resilience and perseverance. Well done to you both. I enjoy escaping vicariously through your blogs so thanks.

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