Nachdem Milagros untenrum nackig war, ging es nun an die Hülle über der Wasserlinie. Gelcoat schleifen war angesagt. Anstatt das Wasser von unserem Freibord fernzuhalten, absorbierte es dieser stattdessen förmlich. Nicht gut. Der alte, brüchige, rissige Gelcoat musste weg. Dass das in Verletzungen aller Art enden würde, konnte natürlich niemand ahnen.

Wir können nicht sagen, dass uns die ganze Aktion mit dem Sandstrahlen nicht ein wenig nervös gemacht hätte. Was würde unter den Schichten Farben alles hervorkommen? Würden wir erste böse Überraschungen erleben? Glückerweise war das nicht der Fall. Von vielen anderen Boatyard Bewohnern unter die Lupe genommen ist der allgemeine Tenor: Diese 40 Jahre alte Hülle ist in einem sehr guten Zustand. Glück gehabt.
Was ist Gelcoat überhaupt?
Nun war es aber Zeit, den alten Gelcoat zu schleifen – weg mit dem alten Zeug. Aber was ist Gelcoat überhaupt? Gelcoat ist eine Kunstharz-Schutzschicht, die auf die Hülle eines Schiffes aufgetragen wird um sie wasserdicht zu machen und vor UV-Strahlung zu schützen. Auch dient er als Kratzschutz. Lieber Kratzer im Gelcoat als im Fiberglas der Hülle. Er wird mit Pinsel und Roller, oder mit einer Spritzpistole aufgetragen.
Warum den Gelcoat schleifen?
Der Gelcoat von Milagros ist alt. Wir gehen davon aus, dass jahre- oder sogar jahrzehntelange UV-Strahlung die Schutzschicht unseres Schiffs derart zerfressen und aufgelöst hat, dass ihre Schutzeigenschaften komplett verloren gegangen sind. Nachdem sich niemand unserer Vorgänger die Arbeit gemacht hatte, den Gelcoat wegzuschleifen, war das nun an uns. Wir machten uns also an die Arbeit.
Die Horrorstories bewahrheiten sich nicht
Wir hatten viele Horrorstories übers Gelcoat schleifen gelesen. Je nachdem wie dick die Schichten auf dem Schiff sind, kann die Arbeit ins Unermessliche ausarten. Trotzdem legten wir los. Da wir sowieso eine Tonne Schleifpapier und alle anderen Materialien fürs Antifouling schleifen gekauft hatten, waren wir top ausgerüstet. Was folgte, waren viele Tage staubiger Spass.
Glück gehabt!
Fürs Gelcoat schleifen benutzten wir Schleifpapier mit 60er Körnung und unsere Bosch Schleifmaschine. Diese war angeschlossen an einen Industrie-Staubsauger, damit die Staubentwicklung ein wenig unter Kontrolle war. Und wir hatten Glück! Obwohl wir uns auf einen langwierigen Prozess eingestellt hatten, kamen wir besser vorwärts als erwartet. Stück für Stück wurde Milagros von ihrer alten, nutzlosen Beschichtung erlöst. Währenddessen hörten wir Podcasts und viel Musik.
Die Fritteuse wird in Betrieb genommen
Der Vorbesitzer von Milagros war hauptsächlich in der Marina auf Milagros wohnhaft. Da er dort Strom à discretion zur Hand hatte, ist unsere Küche mit allerlei Gadgets ausgerüstet. Unter anderem hat er uns eine Fritteuse an Bord gelassen. Diese musste natürlich getestet werden. Beim tagelangen Gelcoat schleifen muss natürlich fürs leibliche Wohl gesorgt sein. Der erste Test erfolgte in Form von selbstgemachten Pommes Frites aus frischen Kartoffeln. Oder wir versuchten uns an Jalapeños im Bierteig. Grossartig und lecker! Da Dave (ein anderer) von SV Cavu nach Mozzarella Sticks verlangt hatte, wurden diese natürlich auch ausprobiert. Was sollen wir sagen? Wir haben nie eine besessen, aber eine Fritteuse ist etwas ganz Tolles und wir frittieren nun fleissig vor uns hin.
Eine Frittier-Extravaganza
Was bei unseren Freunden vom Podcast Cinéswiss eine "Bud Spencer und Terence Hill Extravaganza" ist, ist bei uns eine "Frittier-Extravaganza". Wir haben alle Cabralians (ein Ausdruck für die Bewohner des Cabrales Boatyards) die Lust hatten, dazu eingeladen, mit uns die Entdeckung unserer Fritteuse zu feiern. So wurde vor Milagros frittiert, und der Abend war garniert von einem Mario Kart-Turnier in der Lounge. So muss das!
Weiter geht’s mit Gelcoat schleifen
Trotz all dem Spass mussten wir auch wieder an die Arbeit. Unsere Erfahrung beim Gelcoat schleifen zeigte schnell – ohne Fleiss kein Preis. Wenn man das Zeug von seinem Schiff haben will und sich für die Schleifarbeit entscheidet, führt kein Weg daran vorbei, dass man viele Stunden einfach nur stumpf vor sich hin schleift. Es gibt keine Abkürzung und keine Tricks um schneller vorwärts zu kommen. Man muss einfach dranbleiben und nicht aufgeben. Auch wenn die Motivation und Lust nachlässt – auch nur eine oder zwei Stunden pro Tag bringen einen vorwärts. Ohne Durchhaltewillen hätten wir schnell aufgegeben. Aber wir zahlten auch einen Preis für unsere sturen Köpfe.
Plötzlich ein kaputter Nacken
Nach ein paar Tagen Schleifarbeit wachte ich eines morgens auf und war wie gerädert. Ich hatte mir während der Nacht wohl einen Nerv beim linken Schulterblatt eingeklemmt. Pati leistete erste Hilfe. Hätte das jemand gehört, die Polizei wäre mit Mordverdacht aufgetaucht. Aber trotz all ihrer Massagekünste waren die folgenden Tage für mich gelaufen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Den ganzen Tag Schmerzen und nur eingeschränkte Bewegungen. Und das ausgerechnet jetzt. Nichts mehr mit Gelcoat schleifen. Doktor Google sagte, dass ich nicht viel dagegen machen konnte, ausser Schmerzmittel schlucken und Dehnübungen machen. Was für ein Scheiss. Show must go on – Pati schliff weiter und ich widmete mich Büroarbeiten (wenn man unseren Blog und Social Media denn so nennen kann).
Auch Pati bleibt nicht verschont
Als ich wieder einigermassen zu gebrauchen war, ging es wieder ins Gefecht. Beim Gelcoat schleifen wechselten wir uns ab. Der ganze Prozess war anstrengend für Körper und Geist. Unsere schwere Schleifmaschine kombiniert mit der dicken Gelcoat Schicht – das war echt harte Arbeit. Neben meinem Nacken zollten auch Patis Hände den stundenlangen Vibrationen Tribut. Nach ein paar Tagen hatte sie Schmerzen in ihren Daumen und musste eine Pause vom Gelcoat schleifen einlegen.
Ein wichiger Tipp für Schleifarbeiten
Da ich viele Jahre als Maler auf dem Bau gearbeitet habe, bringe ich viel Erfahrung für Situationen wie das Gelcoat schleifen mit. Der wichtigste Tipp, den ich geben kann ist: Es bringt bei grösseren und gröberen Schleifarbeiten überhaupt nichts, Geld zu sparen, wenn es um die Ausrüstung geht. Eine gute, professionelle Schleifmaschine ist das A und O. Es bringt nichts, die billigste Schleifmaschine auf dem Markt zu kaufen, wenn sie nach einer halben Stunde den Geist aufgibt, weil der Motor nicht mit der Belastung klarkommt. Mehr ist mehr. Wir haben uns in unserem Fall bereits vor dem Start unserer vielen Arbeiten. Diese Schleifmaschine ist relativ teuer, aber jeden Cent wert.

Luis ist zurück!
Mitten in der Arbeit winkte und rief uns plötzlich jemand von seinem Fahrrad zu. Es war Luis , der gerade Pause hatte. An einem anderen Tag hupte es sogar. Luis hat definitiv das coolste Auto in ganz Puerto Peñasco. Er fährt einen alten, wunderschönen roten VW Käfer. Da musste ich ihm natürlich sofort schreiben, dass wir auch mal mitfahren wollen! Gesagt, getan…

Luis der Profi
Wenn wir nicht gerade am Gelcoat schleifen waren, füllten wir die Tage mit anderen, angenehmeren Tätigkeiten. So gingen wir mit Luis im Restaurant seiner Mutter, der Cenaduría Yoli. Lustigerweise hatten wir das Restaurant bereits bei unserem ersten Besuch in Puerto Peñasco im November. Natürlich fuhren wir stilvoll in seinem roten Flitzer hin. Er hat früher in der zweiten mexikanischen Liga 10 Jahre lang bei den Murciélagos de Sinaloa und Xolos Tijuana. Wer vom Fussball-Virus gebissen ist, weiss dass keinerlei Heilungschancen bestehen. Und so spielt er auch noch heute beim lokalen Fussballverein names «Tazz» als Amateur. So lud er uns zum Zuschauen zu einem Spiel ein.
Ich liebe Fussball!
Der Match fand an einem Sonntag statt und war ein Leckerbissen. Nach einer souveränen und kontrollierten 2:0 Führung von Luis’ Team zur Halbzeit zündeten die beiden Mannschaften im zweiten Durchgang den Turbo. 7 Tore, 3 rote Karten, zwei Elfmeter und eine Rudelbildung nach einem Foul mündeten in einer 3:6 Niederlage. Leider hatte Luis’ Mannschaft gegen Ende den viel jüngeren Kontrahenten nichts entgegen zu setzen. Die Beine wurden zu müde. Endlich wieder Fussball! Ich vermisse die Stadionbesuche bei meinem geliebten FC Basel zu Hause in der Schweiz. Ich kann es kaum erwarten, wenn es dann mal wieder soweit ist. Wer weiss, wann das sein wird. Bis dann ziehe ich mir halt die Spiele von Luis hier in Mexiko rein.
Das Gelcoat schleifen lauert
Nach dem Spiel ging es weiter mit Gelcoat schleifen. Wir konnten leider nur stundenweise von unseren Umbau-Verpflichtungen flüchten. Es ging gut vorwärts und Milagros sah komplett anders aus. Sie ist nun nicht mehr weiss, sondern dunkelblau im Dalmatiner-Look. Ein kleines Problem kam trotzdem noch auf. Eine kleine Einbuchtung am oberen Rand des Freibords konnten wir nicht mit unserer grossen Bosch Schleifmaschine in Angriff nehmen. Hier kam wie so oft Dave von SV Cavu zur Hilfe. Mit einem kleinen Mouse Sander von Black + Decker konnten wir auch diesen kleinen Rest Gelcoat noch wegschleifen.
Harte Arbeit lohnt sich
Und dann hiess es: Fertig! Aus! Vorbei! Done!
Wir wissen gar nicht genau, wie viele Stunden ins Gelcoat schleifen geflossen sind. Es waren viele, so viel steht fest. Wir haben über eine Woche lang Staub gefressen. Noch immer meldet sich mein Nacken den ganzen Tag, aber es geht mir viel besser.
Es zeigt sich: Ohne Fleiss kein Preis. Dranbleiben lohnt sich, auch wenn es weh tut.

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8 Comments
Romano
Gratulation, gute Arbeit! Ist Jalapeños im Bierteig das neue Pendant zur Grundulla? Freue mich auf die Abstimmung zum neuen Lack, ich wär dann für Neongelb – oder für Dave rot-blau. Viel Spass noch, aber den habt ihr ja allem Anschein nach. Gruess Romano
David
Hoi Romano, wir haben noch keinen Namen für unser zusätzliches Food Truck-Projekt. 😛
Für die Farbe der Hülle: Weiss it is.
Tina
Hallo Ihr Lieben – haltet durch ! Weiter so ! Gruss aus Basel mit den ersten Sonnenstrahlen.
David
Danke Tina, wir geben alles! 😀
Susanne Ferree
Well Done and love ❤️ your Cabrilian life style. Hugs
Patricia
Getting there step by step!
Hannes
Neck-Pain vs GelPlane
Huge work, well done!
http://hitch-hike-heidi.de/
Patricia
Haha, that’s so true thanks Hannes! One step at a time! 🙂