Meine Hand und mein Hirn pochten. Mit einer frisch zusammengeflickten Avocado-Hand (eigentlich wars ja eine Mango-Hand) war ich auch ein paar Tage später noch mental erschöpft von unserer Überfahrt. Was war da eigentlich gerade passiert? Wir hatten tatsächlich zum ersten Mal auf Milagros kein Land mehr in Sicht gehabt. Die Passage von La Paz war dermassen ereignisreich, dass sogar jetzt noch jedes Mal ein Sturm von Erinnerungen einsetzt, wenn ich daran denke.

Ein Labyrinth von Erinnerungen
Die 41 Stunden von La Paz nach Mazatlán waren wunderschön, extrem mühsam, faszinierend, beängstigend, extrem einfach, extrem schwierig. Es war ein stündliches Auf und Ab. Und was können wir abschliessend sagen? Es ist nichts Neues. Wir hassen Nachtfahrten. Sobald die Sonne untergeht haben wir das Gefühl, dass wir einfach ein bisschen zu viel Kontrolle abgeben müssen. Das geht uns beiden so. Was mir vor allem bei mir selbst in den letzten 2.5 Jahren aufgefallen ist, sind die Aufs und Abs. Ich habe sowas noch nie erlebt. Auf einem Schiff kann sich alles innert kürzerster Zeit verändern. Für viele Leute ist genau das das Schöne am Segeln. Nicht für mich.

Ein Sturm von Gedanken
Was wir beide wieder gemerkt haben: Nachtfahrten sind einfach nichts für uns. Wenn die Sonne untergeht und sich die Nacht übers Schiff legt, müssen wir einfach ein wenig zu viel Kontrolle abgeben. Ich habe manchmal sogar bei Tageslicht immer wieder mal das Gefühl, dass ich konstant am Limit meiner Komfortzone unterwegs bin und nachts macht sich das noch mehr bemerkbar. Bereits kleinste Vorkommnisse oder Ungewöhnlichkeiten stressen mich und meine Reaktion darauf ist nicht immer die beste. Ich verkomme schnell zu einem motzenden Nervenbündel, das einfach mal alles Scheisse findet. Schiff scheisse, Meer scheisse, Wellen scheisse, Segeln scheisse, alles scheisse.


Auf. Ab. Auf. Ab. Auf. Ab.
Genau so schnell geht es dann aber auch wieder in die andere Richtung. Es muss nachts nur eine Sternschnuppe über den Himmel ziehen oder bei Tag ein Fisch aus dem Wasser springen und schon bin ich völlig in meinem Zen. Und so geht das nun schon mehr als zwei Jahre. Auf. Ab. Auf. Ab. Auf Ab. Ich bin oft einfach nur erschöpft. Nicht körperlich, aber mental.
Nächster Halt - Isla Isabela
Wir waren alle erschöpft nach unserem Trip, nicht nur ich. Dass ich mir am Morgen danach auch noch die Hand aufschlitzte, half da nur bedingt. Aber was solls – wir mussten weiter, schliesslich wollten wir ja mal noch in Panama ankommen. Der nächste Stopp würde ein ganz besonderer sein, denn es war einer, der von jedem einzelnen Besucher in den höchsten Tönen gelobt wurde. Isla Isabela.


Nachtfahrten und wir werden keine Freunde mehr
Knapp 85 Seemeilen in südöstlicher Richtung von Mazatlán gelegen ist die Isla Isabela ein Brutplatz für hunderttausende Meeresvögel. Die Lobeshymnen für den Ort von allen Seglern überschlagen sich. Aber was hiess der Besuch? Eine Nachtfahrt. Knapp 17 Stunden dauert es, bis man die Insel erreicht hat. Endlich wieder eine Nachtfahrt! Wäääähhhrrghghg! Die Skipper und die Crew drehten fast durch vor Vorfreude. Nicht. Aber wir hatten keine Wahl.
Nächster Halt - nicht Isla Isabela
Ich war gerade daran, meinen Eltern am Telefon unsere Abfahrt zu verkünden, während Pati im Motorenraum den Ölcheck an Burrito machte. Mit ernüchterter Miene kam sie zurück. «Wir gehen genau nirgendwo hin», sagte sie. Wir hatten Ölvermehrung. Was das heisst ist, dass eine ungewohnte Substanz einen Weg in unser Öl gefunden hat. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Diesel oder Kühlwasser. Abfahrt abgesagt. Oh mann. Unser Burrito verkam langsam aber sicher zu einem Sorgenkind. Erst sprang er im dümmsten Moment nicht an, nun das. Für Ölvermehrung gibt es verschiedene Ursachen, und eine davon ist eine undichte Zylinderkopfdichtung. Das ist grundsätzlich lösbar, aber mit viel Zeit und Arbeit verbunden. Wir hofften schwer, dass es nicht das war, denn wir wollten weiter. Nach Rücksprache per Whatsapp mit dem Mechaniker war aber die Ursache schnell gefunden und nur halb so schlimm. Wir hatten Diesel im Öl, denn unsere BRANDNEUE Diesel Ansaugpumpe war kaputt. Nun wussten wir auch, weshalb der Motor auf der Überfahrt nicht starten wollte. Zum Glück haben wir damals in Puerto Peñasco unser komplettes Dieselsystem auseinandernehmen müssen, deshalb kannten wir es nun in- und auswendig.



Es ist zum Haareraufen
Nachdem unser Motor nun monatelang wunderbar geschnurrt hatte, war unser Vertrauen in ihn innert ein paar Tagen wieder auf null. Auf. Ab. Auf. Ab. Auf. Ab. Die Pumpe war mit einem Stück Dieselschlauch mit passendem Anschluss, den wir von damals noch hatten, schnell umgangen. Und mit einer kleinen elektrischen Dieselpumpe dazu konnten wir das Problem vorübergehend beheben. Nach einem Ölwechsel und 3h Testlauf konnten wir mit einem Tag Verspätung unsere Fahrt in Richtung Isla Isabela trotzdem starten.
In die Nacht hinein
Die Überfahrt verlief problemlos. Wir machten uns bei Tageslicht und guten Wind auf, setzten die Segel und hatten Traumwetter. Der Wellengang hielt sich in Grenzen, der Wind war stetig um die 15 Knoten. Genau so wie es Milagros und wir mögen. Leider war die ganze Freude am Abend wieder vorbei und Burrito musste ran. Dieses Mal startete er problemlos und fuhr uns durch die Nacht in Richtung Südosten. Das Spannendste, das passiert ist? Wir haben ein Segelschiff überholt, das mit gesetzten und flatternden Segeln komplett stillstand und wir sind etwa einen Meter neben der Boje von einem Fischernetz vorbeigefahren, weil sie im Dunkeln schlichtweg unsichtbar war. So viel zum Thema Nachtfahrten und Kontrolle abgeben.



Da ist sie - Isla Isabela
In aller Herrgottsfrühe und mit dem ersten Tageslicht kam der Nationalpark Isla Isabela zum Vorschein. Und wow, es wurde uns im Vorfeld nicht zu viel versprochen. Der Ort wird gerne «das Galapagos von Mexiko» genannt. Der Himmel war voll mit Fregattvögeln, Blautölpeln, Pelikanen und vielen anderen Vögeln. Sie kreisten im warmen Morgenlicht über und um die Insel in die Höhe, und ihre «Gespräche» waren lautstark vom Ufer zu hören. Leider hatten wir schon von weitem die vielen Ankerlichter gesehen, die die Insel säumten.

Wie gewonnen, so zerronnen
Es war schnell klar, dass es mit einem Aufenthalt nichts werden würde. Wir wollten es uns am östlichen Ende der Insel gemütlich machen. Je näher wir an die Insel kamen, desto mehr Ankerlichter von anderen Schiffen kamen hinter der felsigen Insel zum Vorschein. Am Ostende schaukelten bereits drei Schiffe direkt über der Sandbank unseres Vertrauens. Wir versuchten trotzdem, einen Platz zu finden. Wir fühlten uns allerdings nicht hundertprozentig wohl als wir ultra-nahe (für unsere Verhältnisse zumindest) neben einem anderen Schiff in 12 Metern Wassertiefe standen und keine Ahnung hatten, was unseren Anker erwarten würde. So bliesen wir die Aktion «Besuch von Isla Isabela» ab. Allerdings nicht, ohne uns noch eine kleine Sightseeing-Tour um die Insel zu starten.

Sicherheit geht vor
In der Hauptbucht am Südende der Insel, die bekannt für ihren steinigen Grund mit nur kleinen Sandbänken ist, waren schlappe 8 Boote vor Anker. Vielleicht hatten all die Anker sandigen Grund gefunden, vielleicht auch Steinblöcke. Wer weiss. Da wollten wir aber sowieso nicht ankern, zu viele Geschichten von verhangenen und verloren gegangenem Ankergeschirr haben wir da schon gehört. So drehten wir gemütlich eine Runde ganz nahe um die Insel und haben nun noch mehr Bock, diese einmal zu besuchen, dann drehten wir wieder in Richtung Südosten und somit zur Bucht von Chacala ab.

Es ist schon wieder etwas passiert
Und ratet mal was auf der Fahrt dahin passiert ist: Ich habe mir mit einem Messer ins Handgelenk gestochen. Toll oder? Geschafft habe ich das, als ich einen Fisch töten wollte, den wir unterwegs gefangen hatte. Der Pechvogel, der in den Gummitintenfisch gebissen hatte, war eine schöne Stachelmakrele. Der Pechvogel, der nun an demselben Arm zwei Löcher hatte war ich. Ich hatte Glück im Unglück – der Stich war nicht tief, aber ich hatte mir wohl eine Sehne angepiekst. Nun konnte ich die rechte Hand endgültig nicht mehr gebrauchen und Pati musste den Fisch verwerten. Nachdem meine Moral sowieso schon tief war, war sie nun vollends im Eimer. Ich hatte keinen Bock mehr.



Hallo Chacala!
Zum Glück kamen wir schon bald darauf in Chacala an. Es warteten ein Sandstrand, Palmen, Strandbars und die guten Seiten des Seglerlebens. Allerdings mussten wir uns auch auf ungemütliche Nächte einstellen, denn in unserem Navigationsprogramm schrieben Segler von konstantem Pazifikschwell, der ungestört in die Bucht rollen sollte. Auch war es mal wieder Zeit für ein neues erstes Mal: Wir mussten unseren Heckanker setzen. Mit einem Heckanker verhindert man, dass sich das Schiff in Wind und Strömung drehen kann und ungünstig zum Schwell steht. Man kann so den Bug des Schiffs in die gewünschte Richtung bewegen und verhindern, dass sich das Schiff dreht. Somit bleibt das Schiff im richtigen Winkel zu den Wellen ausgerichtet.


No problemo!
Gesagt getan. Wir packten unseren grossen Heckanker an einer langen Leine ins Dinghy, fuhren damit in Richtung Strand. Flo gab von Milagros aus nach und nach Leine aus und als wir eine geeignete Position gefunden hatten, versenkten wir den Anker. Alles klappte wie am Schnürchen und schon bald konnten wir im Cockpit gemütlich schaukelnd die Aussicht geniessen.
Chacala entdecken
Chacala ist ein kleines Dorf an einem schönen, langen Postkarten-Sandstrand, der gesäumt ist mit vielen kleinen Restaurants. Hinter dem Dorf säumt sattes Grün die hügelige Landschaft. Das war sehr schön anzuschauen und das mussten wir uns natürlich sofort aus der Nähe ansehen. Schnell war das Dinghy gewassert und wir standen barfuss am Strand und schlürften ein Bier. Auch die nächsten Tage verbrachten wir mit alledem, was das Leben auf einem Segelschiff schön macht. Balsam für unsere geschundenen Seelen.


Es grünt so grün!
Besonders auf die Vegetation hatten wir uns nach zwei Jahren Wüste gefreut. So liessen wir es uns natürlich nicht nehme, einen Spaziergang in den Wald zu unternehmen. Begleitet wurden wir dabei von einem herzigen Hund, den wir aufgrund seiner braunen Fellfarbe schnell «Schoggi» getauft hatten. Sie begleitete uns den ganzen Weg hoch in den Wald. Gestoppt wurden wir erst vom Wächter am pompösen Eingang eines Privatgrundstücks. Zurück auf dem Schiff trafen wir uns mit Freunden von bekannten Schiffen, die ebenfalls in Chacala vor Anker lagen, genossen Tacos mit dem gefangenen Fisch oder spazierten durchs Dorf, wo ich unter anderem endlich die Fäden meines Messerschnitts entfernen lassen konnte.



Florian kriegt die volle Dröhnung
Flo kriegte so den vollen Umfang der Hochs und Tiefs auf einem Segelschiff mit. Wo wir vor kurzem noch wie ausgebrannte Häufchen genervt herumsassen, waren die Wolken wieder vom Himmel gezogen und wir sassen an einem Palmenstrand und nippten an unseren Margaritas. Wo Flo vor kurzem noch seekrank den Kopf in der Toilette vergraben hatte, hatte er nun seine Füsse im Sand vergraben. Unsere Idee, dass wir ja noch von Chacala bis nach La Cruz weiterkönnten, stiess bei ihm nur auf bedingte Gegenliebe. Lieber wollte er noch ein wenig in Chacala bleiben. Genug der Segelabenteuer fürs erste. Genug Auf. Ab. Auf. Ab. Auf. Ab.

Flo's Fazit
So gestaltet sich auch Flos Fazit von seinem Segelabenteuer. Höhepunkte für ihn waren der Besuch in Chacala, Begegnungen mit anderen Seglern, Biolumineszenz erleben, Wale und Delfine sichten und die Abenteuerstimmung mit Freunden. Und dem gegenüber stehen die technischen Probleme, die moralischen Tiefs, Seekranksein und Davids Handunfälle – ich würde sagen eine 360° Erfahrung mit allem was dazu gehört, und nicht nur Sommer, Sonne, Sonnenschein und Champagner-Segeln.
Es geht weiter nach La Cruz
Wir genossen zusammen die Zeit, die uns noch blieb und schon bald brachten wir Flo früh am Morgen zum Bus, der ihn an den Flughafen von Puerto Vallarta bringen sollte. Auch wir packten unsere Siebensachen und den Heckanker ein und motörleten gemütlich in Richtung La Cruz. Dort vor Anker mussten wir das Schiff erneut für den nächsten Besuch von zwei Freunden aus der Schweiz bereit machen.

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